Porn Studies Interview Siora Photography

„Es hat Vor- und Nachteile zu Pornographie zu forschen.“ – Porn Studies Scholars im Interview über Reiz, Forschung und Stigma

Porn Studies sind als Forschungsfeld ebenso anziehend wie kompliziert. Die Projekte bieten sehr viel Neues, jedoch fehlt oft das Verständnis dafür, selbst innerhalb des Wissenschaftsbetriebs. Öffentliche Aufmerksam ist mitunter so schnell da wie der Shitstorm. Wir haben mit Madita Oeming, Peter Alilunas und Alan McKee darüber gesprochen, wie sie angefangen haben, was genau ihre Forschung ist und wie sie mit dem Stigma umgehen. 

Patrick Catuz: Was sind Porn Studies?

Alan McKee: Porn Studies ist das Studieren von Pornographie, aber man muss dazu sagen, dass es nicht um den Inhalt und auch nicht den „Effekt“ von Pornos geht, es geht mehr darum, Porno in und als Kultur zu verstehen. 

Madita Oeming: Für mich ist es am besten durch ein Zitat aus Chris Kraus Buch „I love Dick“ beschrieben, in dem es auch die einzige popkulturelle Darstellung eines Porn Studies Scholar gibt, die ich kenne. Die Frau darin sagt auf die Frage, was sie macht: „Ich sehe mir Hard Core Pornos an, ohne moralisches Urteil.“ Das ist für mich die Essenz von Porn Studies. Interessant ist kultureller Stellenwert, Geschichte und Ästhetik von Pornographie und nicht ihr „Wert“. 

Peter Alilunas: Das Untersuchungsobjekt von Porn Studies sind sexuell explizite Medien, die als pornographisch definiert werden und dann Gegenstand von Regulierungen werden. 

Alan McKee: Da geht es mal darum, überhaupt zu fragen, was Porno ist, wie es verstanden und definiert wird und wieso das wichtig ist, weil viele Menschen da was Unterschiedliches darunter verstehen. Für viele Menschen sind schon Filme mit Sexszenen pornographisch, für andere hingegen ist der Playboy nicht pornographisch, weil er nicht explizit genug ist. Sogar akademische Disziplinen haben unterschiedliche Definitionen. Das ist wichtig, weil auf der Grundlage dessen, wie wir es definieren, politische Entscheidungen getroffen werden, die mitunter gewisse Aspekte unserer Kultur und unseres Lebens zum Tabu erklären oder zensiert werden müssen. Da geht es um Machtverhältnisse, der Frage, wer das entscheidet. Das zu untersuchen wiederum steht genauso im Interesse der Porn Studies. 

Peter Alilunas: Es ist spannend, wie Walter Kendrick gesagt hat, dass Pornographie keine Sache ist, sondern eine Denkweise. Für mich geht es bei Porn Studies genau um diese Denkweise. 

 

Patrick Catuz: Wie habt ihr angefangen, euch für Porn Studies zu interessieren?

Peter Alilunas: Mein Interesse hat schon beim Studium begonnen, als ich realisiert habe, wie groß und vielfältig die Geschichte von Pornographie ist und wie wenig das untersucht wurde. Ich habe mich in die Idee verliebt in diese Geschichte einzutauchen. Als ich die Leute kennengelernt habe, die sich damit beschäftigen, habe ich mich gleich zuhause gefühlt. 

Madita Oeming: Bei mir war es totaler Zufall! Ich hatte nie das Glück einen Porn Studies Kurs besuchen zu können und wusste nichts von dem Feld, bis ich eines Tages für ein Paper über Moby Dick und die visuellen Künste recherchiert habe. Da hab ich ganz viel Moby Dick Pornos gefunden. Es gab ein Bild mit einer nackten Darstellerin, die Moby Dick hält und es war das erste mal, dass ich Pornos aus einer medienwissenschaftlichen Perspektive gesehen habe. Da habe ich realisiert, dass man alle Fragen, die man an andere Medienformen richtet, auch über Pornos gestellt werden können. Das hat mich begeistert! Es gibt so viele offene Fragen und so viel, dass man zu dem Feld noch beitragen kann, dass ich es liebe, in diesem Feld zu arbeiten!

Alan McKee: Ich habe vor 20 Jahren meinen ersten Artikel zu Pornographie veröffentlicht. Ein großer Teil hat damit zu tun, dass ich als schwuler Junge in Schottland aufgewachsen bin, wo Pornos die einzige Möglichkeit waren, schwule Männer zu sehen und damals die einzige kulturelle Anerkennung dessen, dass es so etwas wie schwulen Sex überhaupt gibt. Mir hat auch die Idee gefallen, dass man mit akademischer Forschung etwas Gutes für die Welt machen kann. Da sich viele Menschen für das Thema Pornographie interessieren, lässt sich damit gut Aufmerksamkeit erregen – ich wurde schon von australischen Senatoren denunziert – was schon zeigt, welchen Effekt man damit haben kann, in diesem Feld Forschung zu betreiben. 

Patrick Catuz: Worüber forscht ihr genau?

Alan McKee: Ich arbeite gerade an einem Projekt, dass sich mit den Ergebnissen unterschiedlichen Disziplinen zu der Frage der Effekte von Pornographie auf gesunde Sexualentwicklung beschäftigt. Die Psychologie hat einen gewissen Konsens dazu, dass Pornos schädlich für die Sexualentwicklung sein können, während die Sozial-, Kultur- und Medienwissenschaften das viel differenzierter sehen und auch positive Aspekte sehen. Ich und mein multidisziplinär ausgerichtetes Team gehen der Frage nach, warum die Einschätzungen so unterschiedlich sind. Um es kurz zusammenzufassen: Wir kommen zu dem Schluss, dass es daran liegt, dass bereits die Definitionen dessen, was gesunde Sexualentwicklung ist, sich in den verschiedenen Disziplinen stark unterscheidet. Die Sozialpsychologie sieht das tendenziell sehr heteronormativ und dahingehend, ob die Menschen in monogamen Paarbeziehungen landen, bei denen es bei Sex immer um Liebe gehen muss, während Cultural Studies und Queer Studies wesentlich offener sind und eine Vielfalt und auch Transgression wie Kinks, Gruppensex oder BDSM mitunter feiern. 

Madita Oeming: In meiner Dissertation geht es um „Pornosucht“, die ich als Kulturwissenschafterin als kulturelles Narrativ betrachte, denn Pornosucht wird von den Medien und der Gesellschaft als Diagnose akzeptiert, bevor sie überhaupt wissenschaftlich anerkannt ist. Es gibt schon Länder, die sich dem widmen, wie diese Erkrankung geheilt werden kann, bevor sich Expert*innen überhaupt sicher sind, ob sie überhaupt existiert. Es ist sehr interessant, sich diese kulturellen Ängste anzusehen. 

Peter Alilunas: Meine Forschung war immer schon an der Schnittstelle zwischen Technologie, Industrie, Kultur und Regulation. In meiner aktuellen Arbeit „Porn 1.0“ geht es um die Ursprünge sexuell expliziter Medien in verschiedenen Netzwerken bis zum Internet.