Weltverbesserer auf Pornomessen

“Vivimos en un país hipócrita!” – „Wir leben in einem heuchlerischen Land!“

beginnt die Pornodarstellerin Amarna Miller ihre Message (im Youtube-Video lassen sich Untertitel einschalten). Im Video für den Salón Erótico 2016 in Barcelona Apricots nimmt sie beim letzten Abendmahl die Position von Jesus ein und hat ein harsches Urteil parat für die Gesellschaft, in der sie lebt. Die Kollegin, die bereits mit Erika Lust und Lucie Blush zusammen gearbeitet hat, blickt ruhig und determiniert in die Kamera, spricht ihre Sätze entschlossen. Es geht um die Heuchlerei bezüglich den vorgegebenen Werten und die Kluft zum tatsächlichen Umgang damit – beispielsweise wie die Gesellschaft mit Sex umgeht. Sie wird gleich zu Beginn sehr persönlich.

„Die selben Leute, die mich Schlampe nennen, holen sich zu meinen Videos einen runter“

Aber Amarna Miller bleibt nicht bei der Sexualität stehen, es geht um Rassismus, Homophobie, Korruption, Stierkampf. Die Bildsprache erinnert an David LaChapelle, Komposition und Requisite äußerst gelungen, die Montage exzellent, der Einsatz von Musik stark emotionalisierend. Schon im Vorjahr hatte der Regisseur Carles Valdez mit einem Manifesto gesprochen von Mainstream-Pornodarsteller Nacho Vidal für Aufsehen gesorgt.

Am Ende doch wieder nur beschi**ene Werbung?

Die Idee ist gut, die Botschaft eine denkbar begrüßenswerte. Aber es bleibt bei Stehsätzen. Es weckt Emotionen, das war für viele kritische Bewegungen tatsächlich der Anfang. Ich gestehe, mir stellt es die Haare auf. Doch es bleibt wohl dort stehen, geht es tatsächlich nicht um einen tieferen Sinn hinter den Stehsätzen, sondern um Aufmerksamkeit für eine Erotikmesse mit Sex-Events. Ohne Augenmerk auf Sex-Ed, ohne Awareness-Raising, ohne ausreichende Repräsentation für sexuelle Minderheiten. Oder schlimmer noch, es bleibt nicht stehen, sondern versucht die Emotionen der WeltverbesserInnen aufzugreifen, an der Hand zu nehmen und an die Kassen zu bringen, nämlich Werbezwecken für ein Produkt zu verwenden. Ist das nicht die ultimative Heuchlerei?

Kann ein solcher Clip uns dennoch zum Nachdenken bringen?

Es ist eine gute Arbeit, zweifelsohne. Was wir damit machen, ist uns überlassen. Also: Ja, sie kann ein Denkanstoß sein. Wenn man sich aber schon die Mühe macht, einen so starken Impuls zu liefern, ist es allerdings schade, wenn es dabei stehenbleibt. Und wenn es wirklich nur dem Geldmachen dient, vielleicht heuchlerischer als alles, was man darin anprangert.

About The Author


Pat

Patrick ist Autor und Filmemacher. Er macht Dokumentarfilme und produziert mit Arthouse Vienna Queer, Feminist und Arthouse Porno.

Er hat mit "Feminismus fickt!" ein Buch über Perspektiven feministischer Pornoindustrie geschrieben.

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