Männlichkeitsforschung ist eine interdisziplinäre Wissenschaft. Sie setzt sich mit dem Thema Männer und Männlichkeit auseinander. Genauso wie die Frauenforschung ist es in die Gender Studies einzuordnen. Der Begriff der Critical Masculinity oder Kritischen Männerforschung hat sich etabliert. So soll eine kritische Auseinandersetzung mit Männlichkeitskonstruktionen ausgedrückt werden. Aber auch ein selbstreflexiver Bezug zur männlich dominierten Wissenschaft und Forschung. Das bedeutet für männliche Forscher ein Hinterfragen der eigenen Rolle. Doch das sollte der Name des Forschungsfeldes eigentlich schon vorwegnehmen.
Das Feld ist noch jung und im deutschsprachigen Raum noch nicht wirklich sehr stark etabliert. Aber man kann gewisse Themenbereiche ausmachen, die wohl noch länger aktuell sein werden:
Globale Männlichkeiten
Man kann historisch nicht nur von einem Männerbild ausgehen. Es ist im Wandel begriffen. Man kann aber auch zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht nur von einem Bild von Männlichkeit ausgehen. Männlichkeit unterscheidet sich in verschiedenen Kulturen oder auch Gruppen. Durch die Globalisierung werden Männlichkeiten über Massenmedien global verbreitet.
Aber nicht nur das. Auch Männer selbst. Denn die Globalisierung setzt auch neue Migrationsbewegungen in Gang. Ja, auch die sogenannte „Flüchtlingskrise“. So finden sich verschiedene Männlichkeitskonstruktionen an einem Ort wieder. So entstehen neue Hierarchisierungen unter den Männergruppen. Schwarze Männlichkeiten sind beispielsweise weißen untergeordnet. Innerhalb schwarzer Männlichkeiten gibt es wiederum Hierarchien. Muslime Männer werden anders bewertet als christliche.
Rassismus spielt hier genauso rein. Klassenverhältnisse auch. Man wird eine Reihe neuer Verbindungen zwischen dem Lokalen und dem Globalen herstellen müssen.
Körper und Körperlichkeit
Männlichkeit schreibt sich über gewisse Praktiken in die Körper ein. Es gibt vermeintlich ’softe‘ Aspekte. Das wären körperlicher Praktiken wie Körpersprache, Körpermodulation (Sport, Bodybuilding, Tattoos, …), Kleidung (die Körper und vor allem das Gefühl für den eigenen Körper auch stets mitformt).
Geschichtlich betrachtet unterlagen Männerkörper aber meist drastischen Einwirkungen. Zuallererst waren Männerkörper als Ressource, als Produktionsmittel relevant. Schwere körperliche Arbeit und Kriege haben immer etwas mit Männerkörpern gemacht. Aber auch mit dem Körpergefühl von Männern. Und mit ihren körperlichen Wertmaßstäben. Training, Muskelaufbau, Kampffertigkeit, physische Belastungsfähigkeit sind zentral für das gesellschaftliche Idealbild männlicher Körper.
Andere Themen in diesem Bereich sind aber auch männliche Gesundheit und Lebenserwartung. Denn die leiden meist darunter, dass Männer sich nach diesem Ideal zu formen versuchen. Männer sterben mittlerweile nicht mehr früher, weil sie in den Krieg ziehen. Auch nicht mehr, weil sie so hart arbeiten. Immer mehr werden zu Schreibtischtätern. Sie schinden ihre Körper mehr nach dem männlichen Idealbild. Und zwar nicht nur über Belastungen, die positiv konnotiert sind, wie Sport. Auch durch das Ausharren gegenüber schädlichen Einwirkungen. Männer rauchen und trinken mehr, gehen nicht so schnell zum Arzt, holen sich kaum psychische Unterstützung. Das führt uns zum nächsten Punkt.
Lebensführung und Normalbiographie
Darunter lassen sich praktische Belange zusammenfassen. Sie sind jedoch nicht weniger maßgeblich. Gesundheitsbewusstsein und Gesundheit fallen darunter. Es gibt weitaus weniger Gesundheitsvorsorgeprogramme für Männer. Dabei ist das Gesundheitsbewusstsein bei Männern weitaus geringer. Sie rauchen und trinken statistisch betrachtet häufiger und mehr. Sie neigen aber auch eher zu risikoreichen und selbstgefährdeten Verhalten. Sowohl in der Wahl der Hobbies, als auch in Ausnahmesituationen. Das wirkt sich auch auf die Lebenserwartung aus. Denn Männer sterben immer noch sechs Jahre früher.
Die seelische Gesundheit ist in diesen Überlegungen auch inbegriffen. Burnout und Suizidraten sind bereits in jüngerem Alter bei Männern wesentlich höher. Gleichzeitig tun sich Männer schwerer, nach Hilfe zu fragen und sie anzunehmen. Schon der kleine Junge hat gelernt, der „Indianer kennt keinen Schmerz“.
Fragen zur beruflichen Laufbahn sind auch relevant. Sie verknüpfen sich mit den anderen. Das Männlichkeitsbild setzt immer noch den Mann als Versorger voraus. Er muss erwerbstätig, besser noch beruflich erfolgreich sein. Das beinhaltet Vollzeiterwerbstätigkeit mit starker Überstundenbereitschaft, um die Karriereleiter hochklettern zu können. Gleichzeitig hat er kein (gesetzliches) Anrecht auf seinen Anteil am reproduktiven Feld. Väterkarenz ist noch weit davon entfernt, Standard zu sein. Der Papamonat ist ein schwacher Abklatsch. Selbst der ist immer noch stark in der Diskussion. Das schneidet ihn von sozialen Verknüpfungen weitgehend ab, was sich auf die Psychohygiene auswirkt. Es könnte aber auch andere Lösungsmuster oder kompensatorisches Verhalten in Gang setzen (Rauchen, Trinken, Gewaltbereitschaft). Was wiederum der Gesundheit schadet.
Intersektionalität
Intersektionalität erkennt gleichzeitig bestehende Ungleichheitsverhältnisse an. Das betrifft Fragen von Geschlecht, Rasse, Klasse, Herkunft, Ethnie, Religion, uns so weiter. Diese Verhältnisse bestehen nicht unabhängig voneinander. Mittlerweile sind wir weit davon entfernt, mit simplen Mann-Frau Opositionspaaren arbeiten zu können. Es gibt und gab immer schon viele verschiedene Männlichkeiten. Einerseits durch Migration. Aber auch ganz ohne diese Bewegungen würden wir im Bürgertum ein anderes Bild von Männlichkeit finden, als in der ArbeiterInnenschaft. In homosozialen Bereichen ein anderes, als in gemischten. Homosexuelle Männlichkeitsbilder unterscheiden sich von heterosexuellen. Bei jenen mit Migrationshintergrund zeigen sie sich anders, als bei über mehrere Generationen autochthonen. Zu guter Letzt können mehrere dieser Faktoren für neue Situationen sorgen.
Männlichkeitsforschung und Ökonomie
In den Sozial- und Kulturwissenschaften wohl ein Stiefkind, so ist die Ökonomie ein wichtiges Thema. Sie ist starkes ordnendes Element in der Gesellschaft. So auch in der Geschlechterordnung. Ökonomische Überlegungen sollten wohl in alle Untersuchungen miteinbezogen werden. Es stellen sich Fragen, welchen Platz Männer im System einnehmen. Es ist auch relevant, wie innerhalb von männlichen Gruppen hierarchisiert wird. Genauso gilt es zu fragen, wie Männerkörper als Ressource zirkuliert.
Wer profitiert hier? Und von wem? Welche Privilegien und welche Nachteile ergeben sich dadurch? Welche Konsequenzen hat es für verschiedene Gruppen?
Die „Krise der Männlichkeit“ wird indes immer mehr zum Thema. Hier ein Beitrag von Kultur heute im ORF zum Anlass der Premiere von „Angry Young Men“ des Aktionstheater Ensembles in Wien:
Natürlich sind noch viele andere Themenblöcke oder Untersuchungen möglich. Im deutschsprachigen Raum ist es noch ein relativ neues Menu am akademischen Speiseplan. Wir können aber durchaus noch ein Zeitchen von diesen Hauptbereichen ausgehen.
Es gibt also noch jede Menge zu tun.
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Mehr zu Grundlagen und Forschungsfeldern der Masculinity Studies:
R.W. Connell: The Men and the Boys.
University of California Press, Berkeley/Los Angeles. 2000.