Der österreichische Verfassungsgerichtshof hat im Dezember 2017 die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare beschlossen. Mit diesem Entscheid dürfen ab 1. Jänner 2019 nicht nur Heteropaare die Institution Ehe eingehen, sondern auch gleichgeschlechtlich l(i)ebende Menschen. Kann in diesem Sinne die Öffnung der Ehe als emanzipatorischer Akt angesehen werden oder geraten queere Menschen dadurch bloß in dasselbe Regelkorsett wie auch heterosexuelle Eheleute? Und welche Rolle spielt dabei eigentlich die österreichische Bundesregierung?
Im Diskurs um die Öffnung der Ehe konkurrieren mehrere Stimmen um Aufmerksamkeit, die an Forderungen und Perspektiven nicht unterschiedlicher sein könnten. Zunächst seien diejenigen erwähnt, die die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare als missliche Form der Gleichheit ansehen und für eine Abschaffung der Ehe im Allgemeinen plädieren. An dieser Stelle sei Ruthann Robson genannt, die eine Gegnerin der Öffnung der Ehe ist und die Meinung vertritt, dass dadurch lediglich queere Menschen in dieselbe Zwangsstruktur wie auch heterosexuelle Paare gedrängt werden würden. Zu dieser Position gesellen sich ebenso radikal feministische und queere Meinungen, die eine Abschaffung der Ehe fordern, um damit verbundene Machtpositionen und Privilegien abzuschaffen.
Öffnung der Ehe als emanzipatorischer Akt
Konträr dazu gibt es aber auch unzählige Forderungen, die die Ehe für alle befürworten und die Öffnung als emanzipatorischen und wichtigen Schritt im Kampf um Anerkennung erachten. Gleichgeschlechtlichen Paaren die Institution der Ehe zu ermöglichen, geht mit dem Wunsch nach Inklusion und der Forderung, ein vollwertiges Mitglied in der Gesellschaft zu sein, einher. In diesem Zusammenhang muss kritisch danach gefragt werden, wer rechtlich aller Familie sein darf bzw. kann und wie der Ausschluss aus der Institution Ehe diskriminierend und eine Anerkennung versagende heteronormative Herrschaftspraxis darstellt.
Indem auch Queers den Bund der Ehe eingehen dürfen, wird der Diskurs um Privatheit und Öffentlichkeit reartikuliert und die heteronormative Matrix mit all ihren Folgen, Zwängen und Unterdrückungsmechanismen in den Hintergrund gerückt. Steht die Ehe nicht mehr exklusiv nur für Heteropaare zur Verfügung, wird Heteronormativität unterwandert und der Blick für ein diverses Bild geöffnet, wie Familie und Partnerschaft gestaltet werden können.
Ein Meilenstein, über den sich (nicht) alle freuen können
Als der Verfassungsgerichtshof Anfang Dezember 2017 den Beschluss zur Ehe für alle bekannt gab, jubelte ein Großteil Österreichs. Viele feierten die längst überfällige Entscheidung; Schulter an Schulter freuten sich sowohl Heteros als auch LesbiSchwule über das Ergebnis. Österreich ist überglücklich …
Österreich wird 2019 einen kleinen Schritt weiter im 21. Jahrhundert ankommen. #Ehefüralle
— MM (@Tuuli_) December 5, 2017
Der Verfassungsgerichtshof erklärte in seiner Entscheidung ein, dass eine Verwehrung des Zugangs zur Ehe für gleichgeschlechtliche Paare diskriminierend ist. Mit der Begründung des Gleichheitsgrundsatzes beschloss der VfGH die Aufhebung der bestehenden gesetzlichen Regelung, welche mit 1. Jänner 2019 in Kraft treten.
„Diskriminierungen sind beseitigt worden“
Kurz: Nein zur Homosexuellen-Ehe
„Diskriminierungen sind beseitigt worden.“ – ÖVP-Chef Kurz spricht sich gegen die Ehe für Homosexuelle aus. Die Möglichkeit zur Verpartnerung oder Adoption finde er „gut und richtig“, weitere Änderungen hält er nicht für nötig.
Gepostet von Zeit im Bild am Donnerstag, 8. Juni 2017
Unklar ist zurzeit jedoch, ob die österreichische Bundesregierung die beschlossenen Änderungen des Ehe- und Partnerschaftsrechts nicht doch anfechten möchte. ÖVP und FPÖ sind nicht nur gegen die „Ehe für alle“, sondern lassen auch den Beschluss des VfGH prüfen. Bundesminister Josef Moser von der ÖVP betont, dass das aktuelle Regierungsprogramm „keine umfassende Reform des Ehe- und Partnerschaftsrechts“ vorsieht. Moser erachtet eine Anpassung der Gesetzesgrundlage zur Öffnung der Ehe als „nicht notwendig“. Ob die Regierungsparteien ÖVP und FPÖ die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs noch vor Inkrafttreten des Beschlusses tatsächlich kippen könnte, kann schwer vorhergesagt werden.
Schritt für Schritt eine neue Welt erschaffen
Aus feministischer und emanzipatorischer Perspektive MUSS für eine Öffnung der Ehe für alle Menschen gekämpft werden. Die Ehe darf nicht länger ein Unterdrückungsinstrument mit Herrschaftscharakter sein, die lediglich für eine bestimmte Gruppe an sehr privilegierten Menschen vorbehalten ist. Sushila Mesquita geht noch einen Schritt weiter und bezeichnet die Ehe in ihrem 2011 veröffentlichten Buch Ban Marriages! Ambivalenzen der Normalisierung aus queer-feministischer Perspektive, das bei Zaglossus erschienen ist, als „bürgerliche patriarchale Institution, die zur Aufrechterhaltung und Absicherung rigider hierarchischer Geschlechternormen und geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung beiträgt“.
Ein Anfang ist mit der Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare bereits gemacht; ein erster Ansatzpunkt, um den Ehebegriff von seinem konservativen und verstaubten Image zu befreien. Die Diversität von L(i)ebensformen kann nur Schritt für Schritt und mit vereinten Kräften sichtbar gemacht werden. Auch wenn dieser Kampf viel Energie kosten wird, müssen wir ihn kämpfen, denn Kurz und Strache werden´s nicht für uns tun.
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Further Reads:
Bannwart, Bettina; Cottier, Michelle; Durrer, Cheyenne; Kühler, Anne; Küng, Zita; Vogler; Annina (Hrsg.): Keine Zeit für Utopien? Perspektiven der Lebensformenpolitik im Recht. Zürich/St. Gallen: Dike Verlag AG 2013.
Mesquita, Sushila: Ban Marriage! Ambivalenzen der Normalisierung aus queer-feministischer Perspektive. Dissertation, Universität Wien 2011. Zaglossus