Cover: Kinga Cichewicz on Unsplash
Von einer Doppelbelastung war die Rede, da von Frauen immer noch erwartet wird, Haushalt und Kindererziehung in großen Teilen alleine zu übernehmen und dann auch noch Karriere zu machen. Nun wird von ihnen auch noch erwartet superattraktiv zu sein. Eine neue Dreifachbelastung? Die Sexualpädagogin und Geschlechterforscherin Katja Grach macht in ihrem Buch die MILF-Mädchenrechnung. Wir haben mit ihr gesprochen.
Liebe Katja, wie bist du eigentlich auf das Thema gekommen
Ganz anders, als du vielleicht denkst 🙂 Einerseits wurde ich wegen meines Blogs krachbumm.com von einem Literaturagenten angesprochen, ob ich nicht ein Buch schreiben will. Andererseits hab ich den Master in Gender Studies gemacht und mich da für meine Abschlussarbeit viel mit der Kultur- und Religionsgeschichte der bösen Frauen beschäftigt. Also der „Hure“ quasi. Und auch damit, wie aus den bösen Frauen in den 90ern böse Mädchen wurden, und dass dieses verruchte „böse“ sein sich eigentlich mittlerweile überall breit macht. Bei Frauen, die eine feministische Agenda verfolgen genauso wie bei Müttern.
Beim Brainstorming für eine Buchidee, hat mein Agent den Titel „Milf-Mädchenrechnung“ erfunden. Und prompt hatte ich dazu einige Ideen und wollte mir den Mythos MILF mal genauer ansehen.
Was bedeutet MILF eigentlich?
MILF ist ein Akronym und bedeutet „Mom, I’d like to fuck.“ Also eine Mutter, die scheinbar „trotz“ dem Status Mutter attraktiv genug ist, für „fickbar“ gehalten zu werden. Mittlerweile wird der Begriff unter Jugendlichen aber auch schon wahllos für über 30jährige verwendet. Das Spannende aber darin ist aber vor allem die Mutter im Begriff. Denn eigentlich sind ja „alle Schlampen, außer Mutti“.
Seit den monotheistischen Weltreligionen sind Mütter als asexuelle Wesen gebrandet. Da klingt so ein Begriff dann gleich mal nach Tabubruch. Gleichzeitig ist es auch ein bisschen eine Auszeichnung, dass die frischgebackene Mama sich eben nicht nur in ihrer neuen Funktion versteht, sondern auch weiterhin heterosexuelle Fantasien bedient.
Wer denkt sich sowas aus? (Wo kommt der Begriff her?)
Bekannt geworden ist der Begriff mit der Rolle von „Stiffler’s Mom“ aus der US-Teeniekomödie „American Pie“ Ende der 90er Jahre. Ob das aus der Feder der Drebuchautoren stammt oder im Urban Dictonary schon vorher zu finden war, weiß ich nicht.
Die Pornoindustrie hat den Begriff zumindest gerne aufgenommen und mittlerweile ist MILF eines der erfolgreichsten Genres seit über 10 Jahren. Dabei scharren sich rund um den Suchbegriff MILF beim Pornhubranking auch „Mom“ oder „Stepmom“ in den vordersten Rängen. Also es hat schon nach wie vor etwas mit Tabubruch zu tun. Auf einer anderen Bühne – den Print- und Onlinemedien – kursiert der Begriff mit dem viel zitierten Augenzwinkern für Promimütter. Aber auch Fitnessprogramme oder andere
Produkte werden damit vermarktet.
Die sogenannte „Doppelbelastung“ beinhaltete ja, dass Frauen neben der traditionellen Kinderbetreuung nun auch noch Karriere machen müssen. Nun kommt auch noch hinzu, begehrenswert sein zu müssen. Mussten Frauen nicht immer schon attraktiv sein, oder hatten da zumindest Mütter früher einen Sonderstatus?
Genau. Mütter hatten diesen Sonderstatus. Aber wenn wir uns umsehen in unserer Selbstoptimierungsgesellschaft, scheint es fast ein Frevel zu sein, wenn wir uns nicht darum kümmern, einem möglichst eindimensionalen Schönheitsideal zu folgen. Gleichzeitig entsteht sicherlich auch die Verknüpfung von digitaler Fotografie, Bearbeitung dieser und Verbreitung auf sozialen Medien, sowie hohen Scheidungsraten und polyamorösen Lebensweisen ein riesiger Dschungel an Faktoren, die Druck machen.
Und wie weit das mit der „Karriere“ dann wirklich klappt, oder ob das nicht einfach eher nur Berufstätigkeit ist, lass ich mal offen. Aber der Körper bleibt uns halt noch immer als letzte Ressource, die wir nutzen können. Im Idealfall geht das aber nicht mit Zwang oder Scham einher, sondern mit Spaß, Lust und Freiheit.
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Katja Grach ist Sexualpädagogin und Geschlechterforscherin aus Graz. Ihr Buch „MILF-Mädchenrechnung. Wie sich Frauen heute zwischen Fuckability-Zwang und Kinderstress aufreiben“ ist bei Schwarzkopf & Schwarzkopf erschienen. krachbumm.com