Catcalling ist für Frauen eine alltägliche Sache, für Männer eine Seltenheit. Doch selbst wenn es passiert, bedeutet es etwas grundlegend anderes. Weil Männer in einer grundlegend anderen Welt leben.
Bei dem 10 Hours of Walking through New York as a Woman Video reagierten viele Männer mit der Empörung, nicht einmal flirten könne man noch. Ähnliche Widerstände rief die #metoo Bewegung ein paar Jahre später hervor. Viele Männer haben offenbar einige Probleme sich in entsprechende Situationen hinein zu versetzten, das strukturelle Problem zu erkennen. Dabei liegt dahinter ein einfacher Denkfehler.
Ein Einwand ist, dass es oft doch nicht so schlimm wäre, man sich ja einfach wehren oder entziehen könne. Man hört auch oft, es würde Männern doch auch passieren. Doch tut es das? Ich habe in den Straßen Wiens den Test gemacht. Ten Hours of Walking through Vienna as a Dude als Catcalling Selbstversuch, der eine simple Erfahrung verdeutlicht: Männer und Frauen leben in grundlegend verschiedenen Welten.
Die Sache sieht so aus: 1. Passiert es Männern einfach nicht, bzw. vergleichsweise zu der Häufigkeit, die Frauen damit zu tun haben. Vielleicht jede Eiszeit ein mal. Und 2. bedeutet es nicht dasselbe.
Das eine Mal…
Während mir in meinem Umfeld erschreckend viele Frauen – und damit meine ich fast jede – erzählt haben, sie würden Catcalling beinahe täglich erleben – so ist mir das in meinem Leben genau einmal passiert.
Ich bin damals gerade von Barcelona, wo ich für Erika Lust gearbeitet habe, nach Wien gezogen. Zu dem Zeitpunkt war ich sehr sehr dünn, weit mehr als jetzt. Ich hatte ganz lange Haare, die ich meistens in einem Man-Bun trug, wie es viele Hipster jetzt machen (ich hatte ihn schon, bevor er cool wurde :-p ). Ich fuhr an einem heißen Augusttag mit dem Rad durch eine der größten Einkaufsstraßen Österreichs. Meine verdammt kurzen abgeschnittenen Jeans wären mir wohl als „Hotpants“ durchgegangen (well, ich habe ja auch die Beine dafür), aufgrund der Hitze nur mit einem Tank Top kombiniert.
Plötzlich wurde ein Auto neben mir langsamer und fuhr an mein Fahrrad ran. Ich schaute rüber und sah, dass fünf junge Männer darin saßen. Der Beifahrer ließ die Scheibe runter, sah mir verdutzt in’s Gesicht und sie hauten ab. Ein Freund von mir, der vor mir mit dem Rad fuhr, erzählte mir dann, er habe sie sagen hören: „Alter, das war ja ein Typ!“
Das einzige mal also, das ich FAST gecatcalled wurde, ist das nur passiert, weil ich für eine Frau gehalten wurde. Es ist so verrückt, zu realisieren, dass es Männer da draußen gibt, die sich an einem netten Sommertag denken, es wäre eine gute Idee, in ein Auto zu steigen und Frauen zu belästigen. „Ich möchte den Typen unbedingt näher kennenlernen, der mich aus einem fahrenden Auto angemacht hat“ sagte keine Frau jemals.
Als mir vier Typen, die dachten ich wäre alleine mit einem Auto gefährlich nahe an mein Fahrrad kamen, dachten diese Typen aber nicht mal an einen zwischenmenschlichen Kontakt. Sie wollten nicht flirten. Sie wollen niemanden kennenlernen, sie wollten noch nicht mal jemanden aufreißen. Diese Männer agieren Machtrelationen aus. Sie wollen sich stark, dominant fühlen. Sie wollten Macker sein. Frauen, denen sie sich nähern, erkennen sie nicht als Person an. Frauen sind nur etwas, woran sie ihre Männlichkeit abarbeiten, beweisen können. Sie wollen ihnen zeigen: Ich kann mich dir nähern, ob du willst oder nicht! Deshalb bin ich stärker. Und nur so bin ich Mann, denn Männer sind ja stärker als Frauen.
Hier liegt die Erkenntnis, die wir uns vielleicht manchmal vorhalten sollten. Männer und Frauen leben in grundlegend verschiedenen Welten. Wenn wir vor die Tür gehen, reagiert die Welt auf männlich wahrgenommene Personen ganz anders als auf weiblich wahrgenommene. Bin ich ein Dude kann ich auch drei Uhr nachts betrunken die Abkürzung durch einen dunklen Park nehmen. Die Chancen stehen gut, dass nichts passieren wird. Als Frau kann ich mir unter Tags unter Anwesenheit anderer Leute nicht sicher sein. Das muss sich ändern.