Penis, Dick, Schwanz, La Queue, Cock, Phallus, Glied, Schlong, Züpfi, … für den Penis gibt es viele Begriffe und umso mehr Missverständnisse. Er ist zugleich das überbewertetste und doch unterschätzteste Organ. Ein kleiner Streifzug mit dem kleinen großen Signifikanten durch seine eigene fehlende Kulturgeschichte.
Wenn es um den Penis geht, dreht sich meist alles darum, was er macht, wenn er hart ist. Er hat das symbolische Monopol männlicher Sexualität inne, die oft als animalischer Trieb verstanden wird. Dabei hängt er die meiste Zeit gelangweilt rum. Wäre er ein Tier, der Penis wäre ein Faultier. Und doch ketten sich so viele Erwartungen an das kleine, meist weiche, schlaffe, faltige Organ.
Der Penis muss so groß wie möglich sein. Dabei gibt es ihn nicht in Einheitsgrößen, noch nicht mal ein einzelner Penis hat immer ein und dieselbe Größe. Ist er entspannt – und das ist er meist, wenn es die Person, die daran hängt, auch ist – ist er auch im schlaffen Zustand ein ganz schöner Manspreader. Stress, Nervosität oder Kälte können Penis und Hoden aber ganz schön verkleinern. Sie ziehen sich dann bis in die Bauchdecke zurück. Das ist eine Schutzfunktion. Die Hoden können dabei ganz verschwinden, aber auch der Penis kann überraschend klein werden, wie ich selbst bei einem Fußballspiel im Dezember mal unter der Dusche feststellen musste. Als Teenager mit fragiler sexueller Identität nicht ganz angenehm, aber man überlebt es!
Die Obsession mit der Größe des Johannes ist also mehr als absurd, da ein einziger Penis mehr Kind denn Herr seiner Umstände ist. Jeder einzelne Penis kann größer oder kleiner sein, im erigierten, wie im schlaffen Zustand. Und eigentlich sind es noch nicht mal nur diese beiden Aggregatszustände, die das männliche Genitale kennt. Es sind alle möglichen „Shades of Glied“. Aber das interessiert niemanden. Er hat entweder das eine oder das andere zu sein.
Die ganzen Erwartungen, die daran geheftet sind, setzen Männern ganz schön zu. Das wird jetzt kein „die armen Männer“ Artikel. Aber man sollte sich schon vorhalten, dass der soziale Druck, zu leisten, in Kontrolle zu sein, etc. mit den ganzen Scherzen über kleine Penise auf der anderen Seite der Medaille (die dafür stehen, dass er eben genau das nicht bringt), auch zu unserer toxischen Kultur beitragen, Menschen auf eingeschränkte Rollen zu reduzieren. Deshalb weinen Männer nicht, Gefühle passen ja nicht zum Macher. Ärger oder Wut schon eher, das ist zwar negativ, bleibt aber handlungsfähiger. Trauer eher weniger, die ist zwar gesünder und lässt uns persönlich wachsen, setzt sich aber in der öffentlichen Arena, in Meetings, in Konflikten nicht durch. Und das müssen Männer ja, sonst sind sie ja keine. Wenn was nicht klappt, können sie sich wenig Trost oder Mitgefühl erwarten, dann kompensieren sie über, reagieren aggressiv, wollen die Sache erzwingen. Ihre Identität hängt ja daran. Kurz: Eure kleiner Peniswitze sind für euch vielleicht Ventil, bleiben aber dennoch Teil des Problems. Und dear fellow Feminists: auch eure Male Tears Jokes. Ich versteh schon, dass es um was anderes geht. Aber wenn ihr Männer mit einem Sinnbild verarscht, dass sie verweichlicht sind, wenn sie weinen, sprecht ihr ihnen diese Seite des Spektrums menschlicher Emotionalität genauso ab, wie die heterosexistische Kultur, die sie zu dem Verhalten treibt, weshalb ihr sie überhaupt verarschen wollt.
Die Angst vor dem zu kleinen Penis ist wohl die schlimmste männliche Befürchtung unserer Zeit. Das war nicht immer so. Die antiken Griechen – und die Römer haben das später einfach übernommen – hielten eine kleinere Form für eleganter, formvollendeter. Die Angst um die Größe ist ein Privileg unserer Zeit. Ein kleiner Penis lässt den Mann Gefahr laufen, seine Identität zu verlieren. Ich weiß, dass es lustig ist, gerade Machos und vor allem „grab’em by the pussy“ Trump damit zu erwischen. Aber eigentlich treibt sie das eher noch mehr dazu an, zu beweisen, dass sie einen Großen haben. Ein Zeichen von Verunsicherung. Wir haben hier auf dem Blog bei unseren Top-Artikeln einen Guide zu sexuellen Identitäten als Langzeit-Nummer-1. Lag wohl auch daran, dass Transgender und Polyamory für viele Menschen neue Konzepte sind. Unter Corona hat ihn auf einmal der Artikel „Ist mein Penis zu klein?“ überholt, obwohl er auch schon uralt ist. Unsichere Zeiten, die noch mehr Unsicherheiten nähren.
Genauso, wie man mit dem Thema über Jahre Klicks generieren kann, ist es auch möglich, mit schwachsinnigen Vergrößerungspumpen, Pillen oder Injektionen Geld zu machen. Einer der aktuellen Trending Googlesuchen ist es, ob Apfelsaft den Penis größer machen kann. Das ist absurd, die Angst dahinter richtet ihren fragenden Blick aber eigentlich öfter an Frauen, als an den Penis. Es ist die Angst vor ihrem Urteil: Ist er genug? Es bedeutet nämlich: Bin ich genug? Stark genug? Mann genug? Wert genug? Männliche Attraktivität kristallisiert sich in dieser wabbligen kleinen Wurst, deren Größe nur ein Symbol seiner gesellschaftlichen Stellung ist.
Genau da liegt diese ganze Verwirrung um das Wort des „Phallus“. Der Penis ist (leider) ein Phallus, der Phallus ist aber kein Penis. Phallus ist nur ein Symbol für Potenz, für Handlungsmacht. Dafür, Macht zu haben, Kontrolle zu haben, etwas ausrichten zu können. Männer sind Träger des Phallus, weil ihnen das gesellschaftlich zugeschrieben wird. Frauen haben da, wenn man es psychonanalytisch sehen möchte, durchaus zurecht einen Penisneid. Aber nicht wegen des Organs oder sie lieber Männer wären. Sie sind nicht kastriert, weil ihnen ein Penis fehlt, sie sind es, weil ihnen die Handlungsmacht in der öffentlichen Arena abgesprochen wird. Das ist die eigentliche Kastration der Frau in unserer Gesellschaft, das ist das Patriarchat. Menschen werden dementsprechend eingeteilt, ob sie einen Penis haben mit spezifischen Rollevorstellungen. Doch diese Vorstellungen haben nichts mit dem eigentlichen Organ zu tun.
Was das Organ selbst betrifft, haben Männer aber (leider) manchmal auch guten Grund, das Urteil von heterosexuellen Frauen zu fürchten, auch von jenen, die ihnen am nähesten stehen. Die meisten würden nämlich leider nicht sagen, dass ein Penis schön ist, schon gar nicht schlaff. Auch nicht jene, von Männern, auf die sie scharf sind oder die sie lieben. Aus dem schlaffen Glied ergibt sich für heterosexuelle Frauen offenbar einerseits die Frage, was man damit schon tun könne, als müsse mit einem Penis immer irgendwas getan werden. Andererseits aber auch der Zweifel, dass es ein Feedback auf ihre Attraktivität sein könnte. Er ist Aufforderung wie Urteil. Was hat ein schlaffer Schwanz zu bedeuten? Was, wenn er beim Sex auf einmal schlaff wird? Das ist ein Stress, der sich überträgt und noch keinem Glied geholfen hat, hart zu werden.
Dabei sollte man sich vorhalten, dass hart oder weich keine Gegensätze sind. Der Penis ist eigentlich auch weich, wenn er hart ist, ein Schwellkörper unter einer sensitiven, seidig weichen Oberfläche. Die sexuelle Performance des Mannes sollte nicht in diesen Werten bemessen werden. Wenn man sich von der Idee löst, dass Sex nur vollwertig geschehen kann, wenn der Penis erigiert ist, kann man auf einmal viel besseren Sex haben. Da muss man sich halt auch von der Idee lösen, dass nur penetrativer Sex „echter“ Sex ist. Das löst nicht nur Stress, man lernt die Hände, ja den ganzen Körper einzusetzen und kann auch gleich viel länger Sex haben. Und womöglich klappt es dann sogar mit der Erektion viel leichter – wenn sie nämlich nicht sein muss.
Versucht doch mal alles zu vergessen, was ihr glaubt, über den Penis zu wissen und versucht ihn mal einfach als kleinen Freund zu sehen, der sich über eure Aufmerksamkeit, Zuwendung, Zärtlichkeit freut. Und über eure Wertschätzung. Nicht dafür, was er nicht ist, aber dafür, was er ist. Selbst wenn er gerade nicht…du weißt schon.